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Hohe Ansprüche

Hohe Ansprüche
"Absichtsvolle Bücher verfehlen ihr Ziel meist": Hans ten Doornkaat. | © Kathrin Zellweger

Hans ten Doornkaat verantwortet das Bilderbuchprogramm des Atlantis Verlages. Für die kulturhistorische Ausstellung «Alois Carigiet. Kunst, Grafik & Schellen-Ursli» kuratierte er den Kinderbuchteil.

Kathrin Zellweger

Er wohnt an einer Strasse in Weinfelden, die Gässliweg heisst, in einem Haus mit Nischen, Ecken und Treppen. Eine Kulisse, die man sich für eine Kindergeschichte ausdenken könnte. Ein Gespräch mit Hans ten Doornkaat, der seit 11 Jahren Programmleiter von Atlantis ist, führt gedanklich auch über alle möglichen Treppen und biegt um viele Ecken. Aber das unpassendste Etikett, das man ihm anhängen könnte, wäre jenes eines gutmütigen Geschichtenonkels. Seine Vorstellungen über Kinderliteratur sind scharfkantig, seine Ansprüche ans Genre überlegt und hoch.

Ebenbürtige Literatur

Der seit 2003 zum Orell Füssli Verlag gehörende Atlantis Verlag erhält täglich zwei bis drei Buchprojekte, Text- oder Bildangebote. Der häufigste Fall: Illustratoren, die eine Geschichtenidee mit Skizzen abliefern. Die meisten lehnen ten Doornkaat und seine Kollegin ab. «Ob ich ein Buch ins Verlagsprogramm aufnehme, entscheide ich intuitiv», sagt ten Doornkaat. Stimmt das wirklich? Zugutehalten muss man dem 62-Jährigen, dass er sich diese Intuition in einer jahrzehntelangen praktischen wie wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Kinderliteratur angeeignet hat. «An vorderster Stelle steht für mich die Qualität des Werks, seine Sprache, die Handlung und auch die Frage, ob sich die Geschichte illustrieren lässt; ans Zielpublikum denke ich nie als erstes.»

Ein Kinderbuch müsse den gleichen Qualitätsansprüchen genügen wie Literatur im Allgemeinen. Seine Stimme bekommt etwas Schneidendes: «Wer annimmt, dass Kinderbücher jöö und herzig zu sein haben, liegt falsch. Kinder sind nicht halbfertige Erwachsene, für welche eine intellektuell bescheidene Version von Literatur reicht.»

Hans ten Doornkaat, 1952, ist Publizist und Dozent für Illustrationstheorie an der Hochschule Luzern. Seit 2004 verantwortet er das Bilderbuchprogramm des Atlantis Verlags (Orell Füssli Verlag). Zuvor arbeitete er als Lektor für dtv junior, Nord Süd und Sauerländer. 2007 wurde er mit dem «Schweizer Kinder- und Jugendmedien-Preis« ausgezeichnet für die Sachbilderbücher «atlantis thema«. In jeder Ausgabe der NZZ am Sonntag findet sich von ihm eine Kinderbuch-Rezension. – Hans ten Doornkaat wohnt mit seiner Partnerin in Weinfelden. Bild: Kathrin Zellweger

Die Absicht findet kein Ziel

Unsere Gesellschaft erwarte von der Kinderliteratur noch immer, dass sie einen pädagogischen Anspruch einlöse, zumindest jenen, dass das Kind zum Lesen verführt würde. Jetzt umspielt ein müdes Lächeln seinen Mund. «Ich gebe der Ästhetik und dem Inhalt den Vorrang. Fragen nach Form und Inhalt sind keine Gegenpole zu Pädagogik. Der Blick auf das Publikum kommt noch früh genug ins Spiel. Absichtsvolle Bücher verfehlen ihr Ziel meist, sind vor allem oft fad. Gut gemeint ist halt nicht gut gemacht.»

Hat sich ten Doornkaat entschieden, ein Manuskript ins Verlagsprogramm aufzunehmen, beginnt ein meist arbeitsintensiver, aber auch schöner Prozess, während dessen am Zusammenwirken von Geschichte und Illustration gefeilt wird. Wie wichtig die Illustration ist, erläutert er am Beispiel von «Schellen-Ursli»: «Diese Geschichte wäre wohl kaum so erfolgreich ohne Carigiets Bilder. Ich behaupte sogar, dass viele Menschen gar nicht wissen, dass die Geschichte nicht von ihm stammt, sondern von Selina Chönz.»

«Alois Carigiet. Kunst, Grafik & Schellen-Ursli»

Eine Ausstellung vom 12.6.15 bis 3.01.16 im Landesmuseum in Zürich in Zusammenarbeit mit dem Bündner Kunstmuseum Chur. Hans ten Doornkaats Begleitpublikation mit dem gleichen Titel ist ab Mitte Juni im Buchhandel erhältlich.

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Imitate und Plagiate

Kinderklassiker, wie sie die ältere Generation gekannt hat, entstehen heute immer seltener. Eine Tatsache, kein Unglück; ten Doornkaat ist kein Romantiker. Eine Wende zum Markt hin ortet er nach 1989, als vermehrt Imitate von Bestsellern, manchmal sogar Plagiate, auf den Markt kamen. Beispielsweise wurden die erfolgreichen Wimmelbücher von R.S. Berner quasi nachgebaut. Das muss man nüchtern feststellen, auch wenn es im Buchladen für die Kundschaft nach einer reichen Auswahl aussehen mag.

Wie kann sich jemand, der so vielseitig interessiert ist, überhaupt mit Bilderbüchern zufrieden geben? Hans ten Doornkaat scheint solche Fragen gewohnt zu sein. Jedenfalls nutzt er sie gleich als Steilpass: «Kinderliteratur fasziniert mich, weil sie illustrierte Literatur sein darf. Die Verbindung von Text und Bild ist vielschichtiger, als es jedes Medium für sich allein ist.» Er lehnt sich zurück. Dass er sich mit dieser Vorliebe und Ansicht zwischen die Stühle setzt, nimmt er hin. Sollen die Literaturpuristen die Nase rümpfen über Texte mit Illustrationen; soll sich die bildende Kunst gegen Illustration abgrenzen, was ja nicht nur im Kunstmarkt der Fall ist.

"Wie viel Heimatschutz steckt im Schellen-Ursli?" Hans ten Doornkaats Begleitpublikation zur Ausstellung.

Ausstellung am richtigen Ort

Die seit dem 12. Juni laufende Ausstellung im Landesmuseum zu Alois Carigiets breitem Oeuvre entspricht ten Doornkaat daher gleich in mehrfacher Hinsicht. Es freut ihn, dass die ganze Breite des Werkes zum Zuge kommt, also auch Plakate, Bühnenbilder und Gebrauchsgrafik. Viele Motive von Carigiet, die nichts mit Kinderbüchern zu tun haben, gehören zum schweizerischen Bildgedächtnis. Das Landesmuseum ist der richtige Ort; hier kann man das vielfältige Werk im kulturellen Kontext zeigen. ten Doornkaat wurde vom Kurator der Werkschau für eine Begleitpublikation angefragt, weil er schon über Carigiet publiziert hat und sich in der Geschichte der Schweizer Bilderbuchliteratur auskennt.

Einsatz für das Rätoromanische

«Mich interessiert die Geschichte hinter Carigiets Werk: Welche Auffassung von Kindheit wird gezeigt? Wie viel Heimatschutz steckt im Schellen-Ursli? Welche Bildtraditionen kommen darin zum Ausdruck?» Die Ausstellung wird auch aufzeigen, dass Alois Carigiets Selbstverständnis und Werk einen entscheidenden Anteil an der Anerkennung des Rätoromanisch haben. Dafür engagierte er sich Zeit seines Lebens. Dass er im Unterland, von den grossen Museen stets als Bündner Maler abgehakt wurde, schmerzte ihn. Für die Mehrheit der Bevölkerung jedoch spielte dies keine Rolle; sie liebten ihn, gerade weil er für sie der Maler des Alpinen war.


***

Mehr zum Thema:

"Nennen wir das Ding doch einfach Atlantis" - die Geschichte des Verlags
Ausstellung im Landesmuseum Zürich vom 12.6.2015 bis 3.1.2016

www.ofv.ch

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