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von Anabel Roque Rodríguez, 11.04.2019

Das Ende eines Experiments

Das Ende eines Experiments
Schluss nach 5 Jahren: Die Galerie widmertheodoridis verlässt den Thurgau. | © widmertheodoridis

Die Galerie widmertheodoridis war ein Fixpunkt der zeitgenössischen Kunst im Thurgau. Jetzt schliesst die Galerie. Eine Hommage zum Abschied. 

In der letzten Ausstellung in Eschlikon zeigt die Galerie widmertheodoridis unter anderem die Arbeit «Fett Salz Zucker Sex», ein Werk des Künstlers Bruno Nagel über Dinge, die den Körper in Wohlbefinden versetzen. Während der Führung witzelt Galerist Jordanis Theodoridis «Sex macht zumindest nicht dick.» Es ist genau dieser frische Wind, der während der Vernissage aufkommt.

Die Arbeit von Bruno Nagel ist auch deshalb so passend, weil es nicht nur auf die Dinge ankommt, die wir konsumieren, sondern wir unser Wohlbefinden mit unseren Entscheidungen auch verändern können. Für Werner Widmer und Jordanis Theodoridis lief es zuletzt auf die Frage heraus, ob sie ihre Galerietätigkeit im Thurgau noch zufrieden macht. Ihre Antwort darauf fiel klar aus: Sie schliessen die Galerie nach fünf Jahren und ziehen um. Wohin genau ist noch offen.

«Wir fühlten uns manchmal allein im Thurgau.»

Jordanis Theodoridis, Galerist  

«Es gibt unterschiedliche Gründe warum wir zu dem Entschluss gekommen sind. Ohne jetzt zu esoterisch zu klingen, hat sich seit der Überbauung vor der Türe die Energie der Galerie verändert. Wir kommen uns beobachtet vor, es ist eng geworden. Uns zieht es wieder in einen urbanen Rahmen in dem wir unsere internationalen Kontakte besser einbringen können. In der Zeit hier ist es uns leider nicht gelungen die Besucher aus Zürich hierher zu bewegen. Wir haben viele gute internationale Kontakte zu Museen und Künstler und wollen diese in der nächsten Phase besser integrieren. Wir fühlten uns manchmal allein im Thurgau», reflektiert Jordanis Theodoridis im Gespräch.

Kunst verhilft oft zu unerwarteten Verknüpfungen. «Als der Künstler Thomas Krempke uns fragte warum wir wegziehen, mussten wir ihm sagen, dass seine Arbeiten entscheidend dazu beigetragen haben. Aber: Don’t shoot the messenger. Als wir die Aufnahmen von ihm gesehen haben, ist uns aufgefallen wie eng der Raum hier geworden ist». In der ortsspezifischen Installation «Zur Aussicht» aus dem vergangenen Jahr fotografierte Thomas Krempke über Wochen aus einem kleinen Ausguck der Galerie eine begrenzte Aussicht in den Garten der Galerie. Damals sind 800 Fotografien entstanden.

Sie flohen in den Thurgau vor den horrenden Mieten in Zürich

Man spürt Wehmut sowohl bei den Gästen als auch bei beiden Galeristen an diesem Tag. Die beiden Gründer von widmertheodoridis wagten damals den Schritt nach Eschlikon, weil Zürich kaum bezahlbaren Raum anbot. Um dem verwöhnten Züricher Publikum die Reise in die Peripherie schmackhaft zu machen, haben sie neben ihrem Galerieneubau auch den Heu- und ehemaligen Kuhstall in einen Projektraum umgewandelt. Das geräumige Platzangebot wird nun aber eher zur Belastung «Für uns zwei ist es einfach viel Arbeit.» sagt Theodoridis nachdenklich. Ist das Experiment in der Peripherie misslungen? Die Galerie läuft nicht schlecht, es gibt Verkäufe und ein Stammpublikum «Wir hätten die Galerie auch bis zur Pensionierung bequem weiterführen können, aber das sind nicht wir. Wir fragen uns, ob das Galeristendasein wirklich mit den Dingen, die uns beschäftigen, zusammenpasst. Wir würden gerne wieder etwas frecher werden» erklärt Theodoridis.

Vermutlich liegt wirklicher Erfolg darin, die Freiheit zu verteidigen sich immer wieder neu finden zu dürfen. Eine Galerie zu führen und eine starke kuratorische Handschrift zu entwickeln lässt sich nicht ganz einfach verbinden. Die derzeitige Schau auf die vielen Jahre Galerientätigkeit zeigt verschiedene Themen, die sich wie ein roter Faden durch das Programm ziehen.

«Wir würden gerne wieder etwas frecher werden.»

Jordanis Theodoridis 

Im Pressetext liest sich das Motto der letzten Ausstellung wie folgt: «‘Room 105’ lokalisiert die Galerie als Topos, in welchem Künstler für eine beschränkte Zeit zu Gast sind, bevor sie diesen für den Nächsten wieder frei räumen. Was diesen Raum, die Galerie und ihr Programm auszeichnet und prägt, lässt sich jetzt an den über hundert Werken ablesen. Ja, (k)eine Retrospektive – vormals durch die Linearität der Zeit getrennte Exponate berühren sich in der Ausstellung und fügen sich so zu einem grossen Ganzen zusammen. Panta rhei!»

LGBTQ ist ein grosses Thema im Galerieprogramm. Das Persönliche ist Politisch und zeigt sich in der Ausstellung «Room 105» in unterschiedlichen Arbeiten. Inszeniert in der vermeintlichen Privatheit der Toilette der Galerie ist eine Arbeit aus der ersten Ausstellung 2005 «Zürich zu Gast bei Romeo» aus ihrer alten Galerie in Zürich. Die Eröffnung fand damals am 1. Dezember am Weltaidstag statt. Die Schwulen und Lesbenbewegung ist eng mit der Geschichte der Krankheit verbunden und hat viele Künstler der 1980er Jahre bis heute geprägt. In jener ersten Ausstellung baten die beiden Galeristen Züricher Sexarbeiterinnen darum ihre Stadt zu fotografieren. «Es stellte sich später raus, dass die Sexarbeiterinnen die Orte fotografierten, wo sie auf ihre Kunden warteten».

LGBTQ ist ein grosses Thema im Galerieprogramm

Im oberen Stockwerk zeigen die zwei ein Buch der südafrikanischen Fotografin und Aktivistin für die Rechte von Homosexuellen Zalene Muholi. Die Galerie zeigte 2013 ihr Projekt «Faces und Phases» in Kooperation mit der LGBTQ+ Initiative Warmer Mai. «Wir hätten die Künstlerin damals gerne unter Vertrag genommen, aber sie ist fest in einer südafrikanischen Galerie» Zur Ausstellung hat sie damals zwei Vorträge gemacht unter anderem zu Corrective Rapes, einer grausamen Praxis, die zeigt wie viel Aufklärungsarbeit auch heute noch zu leisten ist.

Im Heustall zur Galerie wird der starke Künstlerfilm «For a relationship» von Jim Verburg gezeigt. Auch hier geht es um das Persönliche, der Künstler zeigt in einem Stakkato-Rhythmus Bild um Bild aus 14 Beziehungsjahren zu seinem Partner, im Hintergrund ist ein Ticken zu hören, das von dem Stift stammt mit dem er seinem Vater versucht einen Brief zu schreiben und ihm von seiner Beziehung zu erzählen. Ein Coming-out, das nicht leichtfällt.

Bilderstrecke: Einblicke in die aktuelle Ausstellung

Ökologie, Politik, Materialität spielen eine Rolle

Es gibt aber auch Arbeiten, die andere politische oder ökologische Fragestellungen im Kern haben. Werner Widmer, der selbst Künstler ist, zeigt eine Arbeit aus dem Jahr 2003 in dem sich die beiden auch kennengelernt haben. Die Arbeit «Moehl», setzt sich mit Ölkatastrophen auseinandersetzt.

Auch Materialität spielt immer wieder eine Rolle, insbesondere Stofflichkeit in Form von textilen Arbeiten sind in der Ausstellung zu sein. Umso passender, da der Galerieneubau sich an der Stelle des ehemaliges Stickereihauses auf dem Bauernareal befindet.

Ein Appell an die Solidarität der Kunstwelt

Vielleicht lässt sich wirklicher Erfolg nur daran messen, wie stark man in einer Gemeinschaft verankert ist. Dass Jordanis Theodoridis und Werner Widmer das sind merkt man bei der Vernissage dieser Abschluss-Ausstellung: Viele der Künstler aus dem Galerieprogramm der vergangenen Jahre sind anwesend. Auch sie sind gespannt wie es weitergeht und auch etwas traurig. Der Wegzug der Galerie widmertheodoridis ist aber auch ein Appell an die Solidarität der Kunstwelt. Wenn sich private Initiativen wie Projekträume und Galerien ausserhalb der bekannten Kunstmetropolen halten sollen, muss das Publikum auch den Weg dorthin suchen, muss eine bessere Vernetzung stattfinden und es muss auch über eine bessere Finanzierung nachgedacht werden. Galeristen leisten eine wichtige Aufgabe künstlerische Produktion zu fördern und ermöglichen es Künstlern mit ihren Werken ein grösseres Publikum zu erreichen.

Die Deutschmexikanerin Erika Babatz schrieb den beiden eine lange E-Mail «Wir hatten zwar nur zwei Ausstellungen mit ihr, aber sie hat sich bei uns bedankt, dass sie wohl durch die Ausstellungen bei uns zur Fotografie gekommen ist. Das war uns so auch gar nicht klar.» Ihre Arbeit in der Ausstellung trägt übrigens den tragischen Namen «Sueños rotos» - Zerstörte Träume.

«Es ist ein Verlust für die Thurgauer Szene.»

Othmar Eder, Künstler, über das Aus der Galerie widmertheodoridis  

Ab Juni arbeiten die beiden Galeristen im öffentlichen Raum

Der Künstler Othmar Eder ist seit Anbeginn bei der Galerie unter Vertrag und konnte mit ihnen 6 Ausstellungen realisieren. «Ich bin überrascht über die Entscheidung und finde den Entschluss mutig. Es ist ein Verlust für die Thurgauer Szene und das Galeristensterben macht es immer schwieriger für Künstler einen Ort für Ausstellungen in der Region zu finden. Ich habe die gemeinsame Zusammenarbeit immer sehr geschätzt.» In der Ausstellung zeigt der Künstler seinen 40min. Film «Sommer, 2011» bei dem er seiner Schildkröte Bella eine Kamera aufgeschnallt hat und diese durch den Garten wandern lässt. Theodoridis freut sich sichtlich über die Arbeit «Es hat etwas ur-romantisches den Garten aus der Perspektive der Schildkröte zu sehen». Es ist eine Lebenseinstellung die Bereitschaft aufrechtzuerhalten Perspektiven zu ändern, eingeschlagene Wege zu verändern auch wenn dies erst einmal bedeutet Geschwindigkeit rauszunehmen.

Video: «Sommer, 2011» von Othmar Eder

Auch wenn die Station des nächsten Kunstortes der beiden noch nicht feststeht haben sie verraten, dass sie als nächstes als Kuratoren auftreten und vom Galerieraum in den öffentlichen Raum treten. Die beiden haben den Zuschlag erhalten für «Gasträume - Kunst auf öffentlichen Plätzen Zürichs» und eröffnen am 7. Juni ein Projekt mit dem Künstler Nicolas Viennet.
 
Termine: Die Ausstellung «Room105» läuft noch bis zum Ausstellungsdauer 25. Mai 2019. Am 11. und 12. Mai lädt die Galerie zu einem langen Wochenende ein: Samstag, 11. Mai 2019 | 11–21 Uhr Sonntag, 12. Mai 2019 | 11–16 Uhr.
 
 
 

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