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Die Hoffnungsspenderin

Die Hoffnungsspenderin
Vermitteln und erklären gehört zu ihren grossen Stärken: Die Musikerin Simone Keller. Hier bei ihrem Projekt «Music of cages» in der Komturei Tobel. | © Sascha Erni

Der neue Verein «Save Young Musicians» will musikbegabten Jugendlichen aus Krisengebieten helfen. Die Thurgauer Pianistin Simone Keller erzählt, wie es dazu kam. (Lesedauer: ca. 2 Minuten)

Im Januar 2021 kontaktiert ein junger Pianist aus Afghanistan via Facebook die Thurgauer Musikerin Simone Keller. Er schreibt in einer Nachricht, dass er in Kabul klassisches Klavier studiere und bereits alle dort möglichen Abschlüsse und Diplome absolviert habe und nun in der Schweiz oder Deutschland studieren wolle. Zu diesem Zeitpunkt sind die Taliban noch nicht wieder an der Macht, aber es deutet sich bereits an, dass der damals 13-Jährige in seiner Heimat keine Perspektive für seine musikalischen Ausbildung hat.

Dass er sich in seiner Verzweiflung an Simone Keller wendet, liegt möglicherweise an einem früheren Projekt der Pianistin: 2020 gründete sie das Autonome Klavierensemble (siehe Videolink unten) und spielte gemeinsam mit jungen Flüchtlingen ein Konzert in der grossen Schiffbauhalle in Zürich. Am Anfang weiss Keller aber trotzdem nicht so recht, wie sie helfen soll: „Ich habe ihm dann eine Liste von Klavierprofessorinnen und -professoren gegeben, die er anfragen solle, ob sie ihm weiterhelfen können“, erinnert sie sich.

 

Auch Sophie Hunger unterstützt das Projekt

Als das ins Leere lief, keiner der Klavierprofessor:innen antwortete und gleichzeitig sich die Lage in Kabul zuspitzte, beschloss Simone Keller selbst zu handeln: „Ich habe ihm damals versprochen, dass ich einfach alles tun werde, was in meinen Möglichkeiten steht.“ Dieses Versprechen konnte sie halten: Inzwischen lebt der Junge in der Schweiz bei einer Pflegefamilie in Basel und bekommt Unterricht von einem Klavierprofessor der dortigen Musikhochschule.

Dieses Engagement führte inzwischen zur Geburtsstunde eines neuen Vereins: Um die entstehenden Kosten für den Jungen zu decken (Keller spricht von einer Summer von 24’000 Franken im Jahr) gründet die Thurgauerin in ihrer Wahlheimat Zürich gemeinsam mit Freunden Save young musicians (SYM). Der Einzelfall sei dafür aber nur der Anlass gewesen, sagt sie.

 

Sitzt auch im Solidaritätskomitee des neuen Vereins SYM: Sophie Hunger. Bild: Alexander Kellner

 

Die Stiftungen sind bislang ablehnend

Der Verein wolle auch andere musikbegabte Jugendliche aus Krisengebieten unterstützen, damit sie in der Schweiz Schutz finden und eine Ausbildung erhalten können. Dafür sammelt SYM nun Spenden. Zu den Unterstützer:innen zählen bereits bekannte Musiker:innen wie Sophie Hunger, Sir Andras Schiff und Oliver Schnyder. Auch der Thurgauer Autor Usama Al Shahmani ist Mitglied im Solidaritätskomitee des Vereins.

Die prominenten Unterstützer:innen sollen dabei helfen, Stiftungen für die Sache zu gewinnen. Denn bislang zeigten sich diese, so Simone Keller, nicht sehr offen. Das Solidaritätkomitee, so die Hoffnung, könnte das ändern: „So erhoffen wir uns eine Rückendeckung, mit der wir dann erneut an Stiftungen treten wollen, um nicht nur auf Spenden aus unserem Freundeskreis angewiesen zu sein“, erklärt Simone Keller.

Die Schweizer Behörden? Nicht besonders hilfreich in der Sache

Der Premierenfall des afghanischen Jungen hat aber auch gezeigt, wie hoch die Hürden sein können: Die Beantragung eines Visums zu Studienzwecken sei sehr kompliziert gewesen, die Schweizer Behörden erlebte die Pianistin vor allem als abwehrend.

Ihr Fazit: „Es war sehr viel Ausdauer und vielleicht auch Sturheit gefragt und grenzt wohl an ein Wunder, dass der Junge wohlbehalten hier angekommen ist und nun das Recht hat, hier eine Ausbildung zu bekommen“, schreibt Simone Keller in einer E-Mail an thurgaukultur.ch

Der Schweizer Staat übernehme im Übrigen keine der entstehenden Kosten, da der Junge kein Asyl hat und ja „geplant und auf eigenen Wunsch“ hierher gekommen sei.

 

Auch mit dem Projekt «Autonomes Klavierensemble» hilft Simone Keller jungen Musiker:innen aus Krisengebieten. Ihr neuer Verein «Save Young Musicians» will dieses Engagement verstetigen. Bild: Michelle Ettlin

 

Die Grenzen des Asylverfahrens

Inzwischen ist sie aber überzeugt, dass er höchstwahrscheinlich Anspruch auf Asyl hätte, „da die westliche klassische Musik, die er spielt, in Afghanistan strengstens verboten ist und seine Musikschule in Kabul bereits Ziel von Gewaltangriffen war.“ Er hat am Afghanistan National Institute of Music (ANIM) studiert, das 2010 gegründet wurde.

Diese Schule ist eine international gestützte musikalische Bildungseinrichtung, die auch über 30 Prozent Mädchen und junge Frauen ausbildet. So ist beispielsweise das Zohra Afghan Women’s Orchestra Teil von ANIM. Im vergangenen August haben die Taliban diese Schule geschlossen.

Mehr Hintergründe zur Lage des Afghanistan National Institute of Music

 

Trotz dieser Lage hat sich SYM im konkreten Fall des afghanischen Jungen gegen das Asylverfahren entschieden. Woran das liegt? „Es würde bedeuten, dass er als Minderjähriger ins Bundesasylzentrum gebrachten werden würde und nicht bei der Pflegefamilie wohnen dürfte. Auch die Privatschule, in der er den allgemeinen Unterricht vorerst auf Englisch besuchen kann und die Musikschule wären ihm dann nicht zugänglich“, erklärt Simone Keller.

Für Keller ist das Engagement selbstverständlich

Immer wieder fragen Menschen die Thurgauer Pianistin, weshalb sie sich diese sozialen Projekte antue. Simone Keller kann darüber nur den Kopf schütteln: „Mich erstaunen diese Fragen immer ein wenig, weil es für mich so selbstverständlich ist, dass ich, die ich aus dem wohl privilegiertesten Land der Welt komme und es mir nie an irgendetwas fehlte, mich für andere engagiere, die nicht die gleichen Privilegien haben wie ich.“

 

So kann jede:r helfen

Wer spenden und unterstützen will: Mehr zum Verein gibt es auf der Website: http://www.s-y-m.org/

 

 

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