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von Jeremias Heppeler, 21.01.2022

Aufs Weiteste erweitern

Aufs Weiteste erweitern
Das sind: Gamma Kite aus Frauenfeld. | © Peter Kradolfer

Leichtigkeit trifft Ernsthaftigkeit: Das Debütalbum der Frauenfelder Band Gamma Kite ist ziemlich grossartig geworden. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)

Es gibt ein Geräusch, das sich auf Gamma Kites Debütalbum besonders in den Gehörgängen festfrisst: Auf der überaus gelungenen Single «Insights» piept da plötzlich ein nervenaufreibender Elektrowecker im Hintergrund. Fast so, als sollte den Hörern signalisiert werden: Okay, aufwachen, jetzt gilt‘s!

Aber keine Sorge, wir sind schon lange wache. Denn Gamma Kites Debütalbum „Tape Of Convergence" solltet ihr keinesfalls verpennen. Es ist schlicht zu fresh, zu modern, zu zappelig, zu sprunghaft, zu verträumt und zu treibend.

Langweilig wird es hier garantiert nicht. Und obwohl Gamma Kite oder aber Louis Keller in Frauenfeld wurzelt, klingt hier nichts und niemand nach Thurgau. Nach Idylle.

Ein Klang wie Sonnenbrand und aufschäumende Wellen

Gamma Kite tönen nach aufschäumenden Wellen und überforderten Surfern, nach Festivalbühnen, nach Sonnenbrand. Und hier, in diesen Zeilen offenbart sich ein entscheidender Denkfehler: Von wegen klingt nicht nach Thurgau. Genau so klingt der Thurgau eben heute. Denn Sonnenbrand kannst du dir überall holen.

Die moderne Tontechnik hat allerorts Schleusen geöffnet, deshalb klingt das "Tape Of Convergence" wie eine Platte, hinter der man vor kurzem noch ein Major Label und hoch dekorierte Produzenten vermutet hätte. Die neue Generation von Musikerinnen und Musikern brauchen das alles nicht mehr. Sie brauchen prinzipiell nur einen Laptop, ein Mikrofon und das eigene Talent. Einstecken. Loslegen. Und mit jedem anlegen. Mit allen auf Augenhöhe spielen.

Ist das der Soundtrack der nächsten gehypten Netflix-Serie?

Gamma Kite gelingt das: Das entspannt peitschende „Slow Glow" oder das tiefenentspannte, fast ein wenig wahnsinnig vor sich hinwabernde „Adversity" etwa könnten problemlos den Soundtrack für jede Netflix-Serie des Planeten markieren.

Denn es ist diese Leichtigkeit bei gleichzeitiger Ernsthaftigkeit, die das aufkeimende Genre Indie vor circa 15 Jahren vor allem auf Seriensoundtracks (Millennials schreien an dieser Stelle ein wenig zu laut: "Scruuuubs!") präsentierte und die Gamma Kite nun auch zeitverzögert an den Tag legen.

Dazu gesellt sich aber eine ganz neue Klarheit, so ein Wissen um den eigenen Soundstammbaum, den es nun durch den Zitatfleischwolf zu drehen und mit ganz neuen Gewändern zu verzieren gilt. Dass Talente wie Gamma Kite in Frauenfeld entdeckt und gefördert werden können, ist vor allem auch der Verdienst der Augeil-Records, die nun seit vielen Jahren musikalische Vollvielfalt auf durchgehend hohen Niveau präsentieren und damit den Youngstern irgendwie verdeutlichen: Okay, hier geht was. Genau hier!

Hier geht echt was!

„Die nächste Generation ist sowas von ready!", sagt auch DAIF, der das Gamma Kites Album produziert hat und damit saubere Querverbindungen im Augeil-Netz aufzeichnet.

Und so nimmt es nicht Wunder, dass ein weiteres grosses Highlight der Platte der Song „Forget Regret" mit Prozpera darstellt. HIT! Und yes, Gamma Kite ist sowas von ready. Wer jetzt noch schläft, ist selber schuld.

 

Interview mit Gamma Kite (Bild: Tim Keller) aka Louis Keller

Wie gross war und ist die Überwindung für dich in Songs oder auf der Bühne dich selbst und dein Inneres nach aussen zu kehren?

 

Für mich bleibt die persönliche Bindung zu den Songs immer bestehen. Schlussendlich sind es meine inneren Gedanken, die auch bei mir bleiben werden, solange ich diese Bindung teile. Ich finde es auch immer interessant wenn Menschen mit der Message meines Inneren eine eigene, neue und persönliche Bindungen herstellen. Es kostet mich keine wirkliche Überwindung. Mehr Gedanken mach ich mit über meine musikalische Performance, ob die Stand halten wird.

Du behältst es bei dir, weil ultra persönlich - ohne es ultimativ für dich selbst beanspruchen zu wollen?

 

Ich finde ein persönlicher Touch ist mega wichtig in der Musik. Irgendwie gehört das immer dazu. Man kann es auch hören. Zum Beispiel bei Kush K (https://www.youtube.com/watch?v=vpcZLd5asAg) schmelze ich dahin, auch weil ich die Liebe und Persönlichkeit darin spüre. Aber schlussendlich ist es jede*r Künstler*ins Wunsch das Innerste auch irgendwie laut raus zu "schreien". Das gibt dem Ganzen iwie noch eine grössere Bedeutung. Und natürlich gibt einem auch eine gewisse Stärke, wenn man sieht, dass die Musik die man macht, gut ankommt. So ein Selbstvertrauen in die Kunst, die man macht.

Fängst du beim Songwriting mit der Musik - oder eben diesen persönlichen Momenten an?

 

Ich beginne immer mit der Musik. Dafür bin ich meistens am Gear-nerden und auf der Suche nach neuen musikalischen Welten. Parallel finde ich mich oft auch an Lieblingsorten wieder, an denen ich versuche, all die Gedanken, Probleme, Konflikte und prägenden Momente der jeweiligen Zeit in Worte zu fassen. Das kann auch manchmal mühsam sein und erzwungen sein  Dann tut oftmals eine Pause und ein wenig Abstand gut.

Nimm uns Mal kurz mit zu deinen ersten ernsthaften Schritten in Sachen Musikmachen...

 

Meine ersten ernsthaften Schritten. Schwierig. Entweder wir fangen mit dem Moment an, an dem mir meine Vater die "Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band" Platte in die Hand gedrückt und mit mir im Keller zu der Platte gejammt hat. Oder als Tobias Rüetschi von "Obacht Obacht" auf meine Instagram Story von einem Musik-Loop geantwortet hat und meinte, ich solle doch das mal aufnehmen. Musik ist von kleinauf immer an meiner Seite gewesen. Ob man aber mit fünf schon sagen kann, dass das mal was ernsthaftes wird, ist schwierig zu sagen. Vielleicht?

Was bedeutet in dem Zusammenhang Musikloop?

 

Ein erster Kompositionsversuch. Ein entdecken und rumspielen.

Ich habe 100 Loops da auf meinem Loopgerät, die ich irgendwann mal vor Jahren gemacht habe . Ich überlege mir immer wieder, den mal zu verkaufen. Aber i guess, das Andenken an den Start von damals ist zu gross.

Ich finde das bezeichnend, dass es so ein Impuls von Tobias Rütschi war, der dich so angeschoben hat... Wie würdest du darüber hinaus die Szene rund um Frauenfeld und dem Label Augeil Records  beschreiben?

 

Ich liebe die Szene in Frauenfeld. Durch Augeil Records tauchen immer wieder Artists auf, die ich noch nie gehört habe. Ich liebe das. Deshalb würde ich Augeil Records als die Plattform für Künstler*innen bezeichnen, bei der man sich musikalisch austoben kann. Mit DIY-Attitude kannst du deinen musikalischen Horizont bis aufs weiteste erweitern. Es ist die unsichtbare Bühne - vor allem durch unseren jährlichen Augeil Geiltape-Sampler.

Glaubst du dein Weg wäre ohne diese wilde Szene anders gelaufen?

 

Ich fühle mich darin pudelwohl. Weil ich genau so sein kann, und diese Kunst machen kann, die ich liebe. Ich denke ohne Augeil hätte ich es vielleicht nicht geschafft, da zu sein wo ich jetzt bin (wo auch immer das ist, weiss es oft selber nicht - aber es fühlt sich gut an). Musik würde ich aber trotzdem machen. Ganz bestimmt.

 

 

 

 

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