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von Sascha Erni, 08.01.2020

Eine Hommage an ein Motel

Eine Hommage an ein Motel
Das Hotel Garni Rivapiana diente Kunstschaffenden als Begegnungsort. | © Andrée Julikà Tavares

Vom 11. bis 24. Januar wird das «Haus zur Glocke» im Toggenburg zu Gast sein. Mit im Gepäck hat das Steckborner Kunstprojekt die Gruppenausstellung «Rivapiana. The Motel (1972-2018). Eine Hommage.»

«Ich habe noch zwei Künstler mitgebracht, es ist ja eine Gruppenarbeit», schmunzelt Judit Villiger anfangs Dezember in der Frauenfelder Eisenbeiz. Die künstlerische Leiterin des Haus zur Glocke wird begleitet von Othmar Eder und Christoph Ullmann; die drei sind Teil des Kunstprojekts «Rivapiana. The Motel (1972-2018). Eine Hommage.»

Vom 11. bis 24. Januar zeigen gesamthaft dreizehn Kunstschaffende ihre Arbeiten im voralpinen Toggenburg. Denn als Partner für die Gruppenausstellung konnte das Haus zur Glocke das Lichtensteiger Projekt Dogo – Residenz für Neue Kunst gewinnen, und so wird die Ausstellung in den Dogo-Räumlichkeiten des Rathaus für Kultur zu sehen sein.

Und auch zu hören: Denn die Finissage vom 24. Januar wird den Rahmen für die Aufführung von Ulrich Gassers Komposition «Schaulager» bieten. Das Stück für sprechendes und singendes Vokalquartett feierte im Oktober Uraufführung in Steckborn, in Lichtensteig wird es nun zum zweiten Mal gezeigt.

Im November besuchten die Rivapiana-Kunstschaffenden Lichtensteig und natürlich auch das Dogo-Atelier in der alten Turnhalle. Bild: Thomas Krempke

Perspektivenwechsel und ein altes Garni-Hotel

Die Kunstschaffenden stammen aus dem Thurgau, der Schweiz allgemein, aber auch aus Österreich, Italien und den Niederlanden und decken so verschiedene Disziplinen wie Fotografie, bildende Kunst, Film und Musik ab. Diese Vielfalt hat eine Gemeinsamkeit: Alle Künstlerinnen und Künstler haben einen Bezug zur ehemaligen Tessiner Kunstplattform OnArte – und alle haben sie mindestens ein Mal im Garni-Hotel Rivapiana übernachtet.

«Minusio liegt nicht gerade auf dem Weg vom Thurgau aus, also hatte sich die Frage gestellt, wo wir während OnArte leben konnten», erinnert sich Judit Villiger an ihre eigene OnArte-Gruppenausstellung im Jahr 2018 zurück. Das etwas heruntergekommene Hotel Rivapiana bot den Kunstschaffenden Unterkunft, gratis und franko. Und es wurde zum Begegnungsraum, ermöglichte Perspektivenwechsel. Der Kunst- und Kulturraum, den das Rivapiana mit seinen teils baufälligen, teils absurd-kreativ eingerichteten Zimmern bot, hinterliess bei allen Beteiligten einen bleibenden Eindruck.

2018 sollte das letzte volle Jahr für die Kunstplattform OnArte sein. Und auch das alte Garni-Hotel schloss daraufhin endgültig seine Pforten. Zwischen Othmar Eder und Judit Villiger reifte aber die Idee: Wie wäre es mit einer Ausstellung, die das Rivapiana selbst zum Thema hat? Als Hommage also? So entstanden Arbeiten, die sich damit beschäftigen, was der Ort in den Kunstschaffenden ausgelöst hat. Erinnerungen, ja, aber gleichzeitig wolle «Rivapiana» auch als Archiv und Dokumentation einer vergangenen, anderen Welt verstanden sein, erklärt Eder.

Die Gruppenausstellung finanziert sich auch aus dem Verkauf eines Kartensets, zu beziehen via www.juditvilliger.ch. Bild: Sascha Erni

Mehr Demokratie, weniger Eigenbrötler

So, wie das OnArte und das Garni-Hotel Rivapiana einen «anderen» Kunstraum geboten haben, sollte auch die neue Gruppenausstellung einen «anderen» Rahmen und damit eine frische Perspektive erhalten. Fündig wurde das Haus zur Glocke im Toggenburger Städtchen Lichtensteig, wo seit einem Jahr «Dogo – Residenz für Neue Kunst» wirkt. Als Dogo und dessen Schwesterverein «Rathaus für Kultur» Anfangs 2019 starteten, schaute auch Judit Villiger genau hin.

Und umgekehrt blickten die jungen Toggenburger Kunstvermittler aufs Haus zur Glocke. «Sie kamen auf uns zu und fragten uns, wie wir das mit der Glocke machen», lacht Villiger. Schnell habe sich gezeigt, dass die beiden Kunstprojekte eine ähnliche Einstellung vertreten. Sowohl bei Dogo als auch beim Haus zur Glocke würde Einzelkämpfertum eine geringe, demokratische Ansätze aber eine wichtige Rolle spielen. «Das hat sich perfekt ergeben», so Villiger.

«Neben dem Zeigen unserer Arbeiten wollen wir viele Fragen ins Spiel bringen»

Judit Villiger, Künstlerin und Kuratorin

«Wir trafen Judit an einem Talk an der Zürcher Hochschule der Künste wieder», erinnert sich Sirkka Ammann vom Dogo-Leitungsteam. Judit Villiger sei dann mit der Idee der Gruppenausstellung auf Dogo zugegangen, im Sommer 2019 begann die Zusammenarbeit. «Rivapiana» stellt für Dogo die erste Kollaboration dar, die Mitglieder nahmen es dann zum Anlass, gleich eine Serie von Zusammenarbeiten zu starten.

«Wie weitere Kollaborationen aussehen könnten, wissen wir noch nicht, wir sind aber im Gespräch mit weiteren Institutionen», so Ammann. Ziel dieser Serie sei es primär, den Austausch zu fördern, zum Beispiel zwischen zwei Institutionen von Stadt und Land. Auf jeden Fall wolle Dogo mit Kollaborationen das Netzwerk erweitern und mit Menschen und Kunstschaffenden zusammenarbeiten, die sonst nicht in ihr Schema fallen. Sirkka Ammann ist sich sicher, dass Dogo davon profitieren wird, nur schon, weil die Lichtensteiger so neue Arbeitsweisen und Ansichten kennen lernen. «Und wir hoffen, dass dies auch auf der Gegenseite geschieht», lacht Ammann.

Sara Rossi, Motel T, Video Still, 2019. (Aus: Kartenset «Rivapiana. The Motel (1972-2018). Eine Hommage.»

Kunst durch kollaborative Kraft

Im November fand eine Begehung in Lichtensteig statt. Mit dabei waren fast alle Künstlerinnen und Künstler, Kathrin Wolkowicz ist gar aus Rotterdam angereist. Das zum Kulturzentrum umgenutzte Rathaus hätte sich als ideal für die Gruppenausstellung herausgestellt, erzählt Othmar Eder. Die vielen verschiedenen Räume und auch die Aussenräume, die zu Dogo gehören, liessen die kreativen Funken fliegen, die Raumverteilung gab angeregte Diskussionen unter den Kunstschaffenden auf, spontane Ideen flossen mit ein.

«So wollen wir nicht nur innerhalb des Rathauses ausstellen, sondern auch ausserhalb, im Dogo-Atelier in der alten Lichtensteiger Turnhalle», erklärt der Künstler. Dort wird etwa Christoph Ullmann einen Raum-im-Raum einrichten, einen «Cozy Corner», wie er es nennt. Der frühere SRF-Redaktor und Videojournalist fühlte sich vom Konzept der Gruppenausstellung sofort an die Schweizer TV-Serie «Motel» erinnert. Er befindet sich zur Zeit noch in Verhandlungen, um in seinem Cozy Corner eine Folge der Kultserie in Dauerschleife zeigen zu dürfen. Ihn beschäftigt dabei auch der aktuelle Kunstbegriff – was ist Kunst? «Die Kunstgriffe eines Films sind immer auch Kunst», ist Ullmann überzeugt.

Othmar Eder, Vordachspuren, Fotografie, 2018. (Aus: Kartenset «Rivapiana. The Motel (1972-2018). Eine Hommage.»

Künstler? Wer darf sich überhaupt Künstler nennen?

Das könnte sich zu einem der Kernanliegen von «Rivapiana» entwickeln: Was ist Kunst, wer darfüberhaupt Künstler sein, wer sich so nennen? «Neben dem Zeigen unserer Arbeiten wollen wir viele Fragen ins Spiel bringen», sagt Judit Villiger. Im Hotel Rivapiana hätten sie gemerkt, dass sie eine gemeinsame Kraft entwickeln konnten, dass neue Möglichkeiten entstehen, wenn man den Kreis vergrössert und die Zusammenarbeit übers Konkurrenzdenken stellt. Eine Gruppenschau, noch dazu als Kollaboration gleich zweier Ostschweizer Kunstprojekte, bietet dafür auf alle Fälle eine interessante Ausgangslage. Man darf auf den Januar 2020 gespannt sein.

«Rivapiana. The Motel (1972-2018). Eine Hommage.» Ein Kunstprojekt von Othmar Eder und Rita Eder, Arianna Giorgi, Thomas Krempke, Sara Rossi, Pat Treyer, Christoph Ullmann, Judit Villiger, Letizia Werth, Stephan Wittmer, Andrée Julikà Tavares und Kathrin Wolkowicz, Jean-Marc Yersin. Dogo – Residenz für Neue Kunst: 11. bis 24. Januar 2020 im Rathaus für Kultur, Lichtensteig. Programm und weitere Informationen: www.dogoresidenz.ch 

Das Rathaus für Kultur im Toggenburg wird zum temporären Heim des Haus zur Glocke. Bild: Sascha Erni

 

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