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von Brigitte Elsner-Heller, 23.12.2019

Am Anfang war der Klang der Dinge

Am Anfang war der Klang der Dinge
Wie der Herbstwind: Rahel Wohlgensinger lässt Laub aufwirbeln. Bild: Brigitte Elsner-Heller | © Brigitte Elsner-Heller

Um Theater für Kinder ab zwei Jahren geht es bei der Produktion „klAnK. Vom Lauschen und Horchen“ von Rahel Wohlgensinger und Andrea Kilian. Ein Fest (nicht nur) für den Hörsinn.

Es sind häufig Romane, die ganz dicken Schwarten, die sich Zeit lassen für das Säuseln des Windes, das Plätschern des Wassers oder Vogelgezwitscher. Stille und flüchtige Klänge haben sonst oftmals keinen Platz in einer Welt, in der akustische Auszeiten seltener geworden sind oder sogar als verstörend erlebt werden können.

Das Phänomen macht auch vor der Welt der Allerkleinsten nicht halt, in der Smartphones oder elektronische Märchenonkel die Wahrnehmung früh mit prägen und damit leicht zum ästhetischen Massstab werden können. Dabei sind die Ohren wichtige Instrumente, um sich die Welt anzueignen. Man denke nur an die Phase des Spracherwerbs, in der kleinste Differenzierungen von Lauten wichtig sind – ob nun die ältere Schwester etwas sagt oder Opa mit seiner Brummstimme.

Das Produktionsteam bei der Probe (von links): Musikerin Andrea Zuzak, Regisseurin Andrea Kilian und Rahel Wohlgensinger, auf die sich „die Handlung“ auf der Bühne konzentriert. Bild: Brigitte Elsner-Heller

Auf in die Welt von Tönen und Geräuschen!

Auf also in die Welt von Tönen und Geräuschen, die sich in ihrer Vielfalt hinter der „lauten“ Welt der Bilder nicht verstecken muss! Gut aufgehoben ist man auf dieser Exkursion bei Rahel Wohlgensinger und Andrea Kilian, die sich in Kooperation mit der Theaterwerkstatt Gleis 5 daran gemacht haben, Lauschen und Horchen erfahrbar zu machen. „klAnK“ heisst das etwa halbstündige Stück für alle Menschen ab zwei Jahren, und dass ein etwas aufmüpfiger Klick-Laut am Ende des Wortes steht, lässt bereits erahnen, dass Mut und Selbstbewusstsein mit ihm Spiel ist.

Und das ist auch gut, denn „klAnK“ wird am 10. Januar 2020 in Zürich das „Internationale Theaterfestival „Prima“ eröffnen, das sich auch schon an Kinder wendet, die in die Kita gehen und zwei Jahre alt sind. Neben Zürich sind Aarau, Bern, Brig und Schaan Stationen, bevor „klAnK“ dann auch in der Theaterwerkstatt Gleis 5 in Frauenfeld wieder ankommt (März 2020).

Video: Trailer zur Produktion

Eine Geschichte ohne Handlung?

Geprobt wird derzeit in der Frauenfelder Theaterwerkstatt, die Bühne hat mit zwei auf acht Meter eine eher ungewöhnliche Abmessung. Das liegt nicht daran, dass sie als Probebühne dient, sondern ist Absicht: Ganz nah sollen die Theatergänger am Geschehen sein und dabei gleichzeitig erleben, dass Töne von ganz unterschiedlichen Richtungen kommen können. Die Puppenspielerin Rahel Wohlgensinger und Andrea Kilian haben bereits mit „Flow“ die Gruppe der ganz Kleinen ins Auge gefasst und Erfahrung mit einem Publikum, dass immer ehrlich ist und unmittelbar reagiert.

Nachdem es bei „Flow“ immer noch so etwas wie eine Erzählung gab (Was passiert eigentlich rund ums Mehl?), ist Rahel Wohlgensinger auch dank der finanziellen Unterstützung durch den diesjährigen Förderpreis des Kantons Thurgau selbst weiter auf Forschungsreise gegangen. Die Idee war, sich dem Hörsinn zu widmen und dabei Naturmaterialien einzusetzen. Aber konnte man das wagen? Eine Geschichte ohne deutlich erkennbare Handlung „erzählen“?

„Die Qualität der Klänge ist geschrumpft.“

Rahel Wohlgensinger

Holz und Knäckebrot liegen jetzt bereit, ein wie verwunschen wirkender Wurzelstock schmückt die Bühne, auf der auch ein langer, kräftiger Ast wie ein Kunstwerk in einer Halterung ausbalanciert ist.  Laub füllt eine hängende Kugel aus Weidengeflecht. Rahel Wohlgensinger wirkt auch ein wenig heiter, als sie erzählt, dass sie Laub „auf Vorrat“ gesammelt hat – es füllt momentan ihren Keller.

Zu ihr und Andrea Kilian ist im Sommer noch die Musikerin Andrea Zuzak gestossen, die ihren Platz an einer Seite der Bühne findet und immer wieder klanglich untermalt, was Rahel Wohlgensinger zeigt. Bein Einlass werden übrigens die einzigen Worte fallen, bevor es eine halbe Stunde lang Geschehen ohne „Textbuch“ geben soll, allerdings nicht ohne Dramaturgie.

Alles ein grosses Hörspiel

Zunächst die roten Schuhe, deren Absätze auf den Bühnenboden trommeln, bis Rahel Wohlgensinger sie auszieht und der Musikerin überlässt, die nun zur Geräusche-Macherin wird, während die andere barfuss läuft. Immer noch klopfen die Absätze, knirschen die Sohlen, wenn sich die Geherin dreht. Platsch! Ist sie auf einmal in eine Pfütze getreten? Plätschert ein Bach über die Bühne?

Steine werden zu Klanginstrumenten unterschiedlicher Tonhöhen und Geschmeidigkeit, der grosse Ast lässt sein Holz ähnlich einer Flöte tönen, die bald von Andrea Zuzak zusätzlich dazu gespielt wird. Auch eine Violine kommt zum Einsatz, allerdings weniger, um eine Melodiefolge und damit ein Lied zu spielen.

Der warm ausgebreitete Klangteppich vermittelt eher Geborgenheit in einer Weite, die bei Erwachsenen vielleicht Assoziationen zu sich ausdehnenden Steppenlandschaften aufkommen lassen könnte. Dass alles letztlich zu einer wunderbaren Klangkollage zusammen fliesst, ist auch Max Bauer zu verdanken, Andrea Kilians Mann. Er stand beratend zur Seite und hat Tontechnik verbaut.

Andrea Zuzak steht während der Aufführung in steter Verbindung zu Rahel Wohlgensinger. Bild: Brigitte Elsner-Heller

Jenseits der Stille

Es habe Mut gebraucht, ohne Geschichte zu spielen und auch die Stille zuzulassen, sagt Rahel Wohlgensinger. Die Erfahrungen seien aber positiv gewesen, auch und gerade mit einer Kita aus Frauenfeld, die als Probenpublikum schon dabei war. Meist seien die Kinder zur Überraschung der Erzieherinnen leise gewesen und hätten gelauscht.

Damit die Kinder sich mit den Klängen auch selbst ausprobieren können, ist dann vorgesehen, dass einzelne Stationen auch im Foyer installiert werden. Auf die Bühne selbst können die Kinder nicht, das wäre wegen der verbauten Elektronik zu riskant.

Auch ein Wurzelstock hat ein „Innenleben“ und lässt sich zupfen wie eine Harfe. Bild: Brigitte Elsner-Heller

Früh übt sich ...

Für das Team ist das Projekt eine echte Herzensangelegenheit, was durchaus nachzuvollziehen ist. Zudem leisten die Frauen mit ihren Projekten Entwicklungsarbeit. In Frankreich habe man bereits vor 30 Jahren angefangen, Theater für die Kleinsten zu entwerfen, auch in Italien und Deutschland sei man schon weiter, sagen sie. Rahel Wohlgensinger, die ihren Förderbeitrag dieser Aufgabe zukommen lässt, weiss, dass Kitas finanziell schlecht aufgestellt sind und derartige kulturelle Aktivitäten oft nicht stemmen können, während Kindergärten und Schulen dafür Zuschüsse erhielten. Aussagen, die die Politik adressieren.

Dass „Prima“, das „Internationale Theaterfestival für die Jüngsten“, realisiert wird, ist natürlich auch Ansporn, zumal Rahel Wohlgensinger den Verein „Prima“ mit gegründet hat und auch das Helios Theater aus Hamm (Deutschland) mit „Holzklopfen“ dabei ist. Für die Puppenspielerin war diese Inszenierung einst Initialzündung des Wunsches, selbst eines Tages so ein Stück auf die Bühne bringen zu wollen.

Video: Trailer zum Theaterfestival „Prima“

Auch „Holzklopfen“ wird unter anderem in der Theaterwerkstatt Gleis 5 zu sehen sein, und zwar am 21. und 22. Januar 2020 (vollständiges Programm und weitere Informationen zum Festival unter www.prima-festival.ch). KlAnK kommt anschliessend im Rahmen des Programms der Theaterwerkstatt nach Frauenfeld (4., 5. und 8. März 2020, danach noch einmal im November 2020).

Lange Weidenzweige erzeugen singend-flötende Töne, während sie wie Saiten durch die Luft schwirren. Bild: Brigitte Elsner-Heller

 

 

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