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Wozu Kritik?

Wozu Kritik?
Alle wollen sie, aber nur in Bezug auf andere: Warum es die Kritik schwer hat in diesen Tagen. | © Michael Lünstroth

Der Kritik geht es nicht gut. Alle wollen sie, aber nur in Bezug auf andere. Dabei war dieses Konzept eigentlich nie als Einbahnstrasse gedacht. Eine kleine Erinnerungshilfe

Reden wir heute mal über: Kritik. Eine rhetorische Form, die es in diesen Tagen auch nicht leicht hat. Alle schreien nach ihr, viele nehmen sie für sich in Anspruch, ihre Popularität hat aber eine jämmerlich kurze Halbwertzeit. Sie endet oft abrupt, sobald sie den Fokus auf jene richtet, die ihr gerade noch zugejubelt haben. Für einen vernünftigen Umgang mit Kritik braucht es eine gewisse Grösse. Eine Einheit, die sich nicht in Zentimetern, sondern in Taten bemisst. Das liegt nicht jedem.

Weil Kritikfähigkeit eben auch bedeutet, die Möglichkeit der eigenen Fehlbarkeit zumindest in Betracht zu ziehen. Auch diese Einsicht ist nicht jedem gegeben. Das Problem ist: Kritikfähigkeit ist vor allem dort abwesend, wo sie bitter nötig wäre – in den Machtzentren unserer Welt. Sei es im Weissen Haus oder im Rathaus um die Ecke. Fast scheint es so, als schwinde die Offenheit für Kritik Andersdenkender im gleichen Masse wie die eigene Machtfülle zunimmt.

Die dunkle Seite der Kritik

Woran liegt das? Nun. Kritik ist unbequem, lästig und kann beispielsweise den politischen Prozess quälend langsam machen. Wohl auch deshalb unterscheiden sich Politiker in den Zuständen „vor einer Wahl" und „nach dem Gewählt-Sein" sehr oft in ihrer Einschätzung und Offenheit von Kritik. Menschlich kann man das vielleicht noch nachvollziehen, gesellschaftlich ist das ein Problem. Jede Form des Gemeinwesens braucht Kritik. Andernfalls gibt es keinen Fortschritt, keine Entwicklung.

Richtig ist freilich auch, es gibt eine dunkle Seite der Kritik: Sie wird hohl, wenn sie eher Personen als Sachthemen ins Visier nimmt. Sie hat keinen Wert, wenn sie nur dazu dient, den Kritisierenden als möglichst harten Hund zu stilisieren. Und: Kritik wird unglaubwürdig und destruktiv, wenn sie reflexhaft geäussert wird. Im besten Fall ist es stattdessen so: Kritik ermöglicht Diskurs. Diskurs ermöglicht Erkenntnis. Oder vielleicht präziser gesagt - bessere, klügere Erkenntnis

Kritik bedeutet eben auch, jemanden ernstzunehmen

Urteilsfähigkeit und Mut zur Kritikäusserung sind zwei Wesensmerkmale des Journalismus. Insofern ist es nur selbstverständlich, dass auch wir uns immer wieder Gedanken über Kritik machen. Sei es über jene, die wir in Ausübung unseres Berufes an andere richten oder jene, die an uns gerichtet wird. Aber eins nach dem anderen. Gerade im Kulturjournalismus stellt sich immer wieder die Frage, wen kritisiert  man wie, und inwieweit kann es unterschiedliche Beurteilungs-Massstäbe für das geben, was auf einer Bühne gezeigt wird? Klar ist, dass man professionelle Künstler im Zweifel kritischer beurteilen wird als Laien, die aus Spass an der Freude ins Rampenlicht gehen. Zwischen Laien und Profis gibt es aber auch noch viel anderes - und da muss man dann im Einzelfall überlegen, wie damit umgehen.

Vielleicht hilft ein konkretes Beispiel zur Veranschaulichung. Ich habe beispielsweise lange überlegt, wie ich meine Besprechung zur neuen Inszenierung des Jungen Theater Thurgau schreibe. Unterm Strich war für mich klar, ich will die Darsteller und ihre monatelange Arbeit ernst nehmen. Und das tut man nicht, wenn man mit vermeintlich wohlmeinenden Worten über Schwächen hinweglächelt. Deshalb habe ich mich für einen anderen Weg entschieden. Auch weil ich überzeugt davon bin, dass eine ernsthafte Kritik, eine wirkliche Auseinandersetzung mit dem Gesehenen, eine viel grössere Wertschätzung ist, als etwas lieblos und unüberlegt herunter Geschriebenes, das nur darauf bedacht ist, es allen recht zu machen. Wie war das noch mal bei den alten Griechen? Kritik ermöglicht Auseinandersetzung. Auseinandersetzung ermöglicht Diskurs. Diskurs ermöglicht Erkenntnis.

In diesem Sinne stellen auch wir uns natürlich jeder Kritik. Als Kommentar zu diesem Beitrag, als Mail an michael.luenstroth@thurgaukultur.ch oder als Reaktion auf unserer Twitter- beziehungsweise Facebook-Seite. Lassen Sie von sich hören.

 

 

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