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von Barbara Camenzind, 27.03.2017

Als die Romantik noch jung war

Als die Romantik noch jung war
Jungtalente in ehrwürdiger Atmosphäre: Das Thurgauer Jugendorchester im Rathaussaal Frauenfeld | © Barbara Camenzind

Was ist schöner, als wenn sich junge Leute zum Musizieren treffen? Wenn sie dabei junge, pardon, junggebliebene Musik aufführen. Das Programm des Thurgauer Jugendorchesters bestach mit wunderschönen Klangbögen von Ludwig van Beethoven, über Carl Maria von Weber bis zu Felix Mendelssohn Bartholdy. Der gut besuchte Frauenfelder Rathaussaal bot dazu am vergangenen Samstag das stilistisch passende Ambiente.

Von Barbara Camenzind

Es war, als hätte Baumeister Josef Purtscher soeben den ehemaligen Frauenfelder Tagsatzungssaal verlassen. 1793 mit seinen wunderbaren Kachelöfen und den geschmackvollen Stuckaturen erbaut, gab er das Bühnenbild für das akustische Stelldichein mit zwei Jubilaren und einem „Nachfeiernden". Ludwig van Beethovens Todestag jährt sich 2017 zum 190. Mal, Felix Mendelssohn Bartholdy ist vor 170 Jahren gestorben und Opernpionier Carl Maria von Weber hatte letztes Jahr das 190. „Jubiläum seines Ablebens". Unter der Leitung ihres Dirigenten Gabriel Estarellas Pascual, in Zusammenarbeit mit den Registerleitern Seth Quistad, Posaune und Michael Reid, Klarinette, stellte das Thurgauer Jugendorchester schnell klar, wo tote Komponisten noch höchst lebendig sind: In ihren Werken, in ihrer Musik und in einer frischen, frechen Interpretation.

Beethovens Kopfkino

Was ist er denn nun, der Symphonien-Epigone mit dem wilden Haarschopf? Der letzte Klassiker? Der erste Romantiker? Die Ausführenden liessen ihrem Publikum keine Zeit für derlei wissenschaftliche Spitzfindigkeiten. Ungestüm, klangvoll - und wie es sich für Beethoven gehört, auch etwas ruppig, galoppierten die Musizierenden durch den Allegro-Satz der Ouvertüre zum Schauspiel „Coriolan", welches der Schriftsteller Heinrich Joseph von Collin nach einer Vorlage Shakespeares 1802 zur Aufführung brachte. Beethovens musikalische Interpretation dieses Dramas rund um einen römischen Patrizier ist pures Kopfkino. Ob Oboe, Geige oder Bratsche, jedes der Jungtalente auf dem Podium schien sich dessen bewusst zu sein. Auch wenn da und dort ein paar Übergänge wackelten, ist es bei dieser Musik besser, beherzt einen Fehler zu machen, als verzagt zu langweilen.

Agil und virtuos: Die Klarinettistin Barbara Enz. Bild: Barbara Camenzind

Carl Maria von Weber war einer der wichtigsten Komponisten der Frühromantik. Er schenkte den Menschen seiner Zeit die Möglichkeit, abzutauchen. Fort aus den Wirren der Revolution, dem Grauen der Napoleonischen Kriegen und schuf die ersten Ansätze einer im positivsten Sinne verstandenen „Deutschen Musik". Er war daher im wahrsten Sinne des Wortes ein Identitätsstifter. Kein Wunder bedienten sich die nachfolgenden Komponisten gerne bei ihm, wie beispielsweise Richard Wagner.

Die erst Ende des 18. Jahrhunderts aufgekommene Klarinette erlebte bei ihm den absoluten Durchbruch. Durch die weiter entwickelte Klappenmechanik wurde sie leichter zu spielen, und Weber komponierte 1811 für das der menschlichen Stimme so ähnliche Instrument das wunderschöne Konzert in f-Moll. In frühlingshaftem Grün erschien Solistin Barbara Enz auf dem Podium und spielte sich sofort in die Herzen der Zuhörenden. Es war, als hätten sich die Waldgeister aus den „Freischütz" oder die Elfen aus „Oberon" in ihr Instrument geschlichen. Das Orchester war der jungen Solistin ein aufmerksamer, sensibler Sparringpartner.

Es klang wie aus einem Guss

Gerade beim heiklen „Adagio non troppo" war der Maestro mit dem Taktstock sehr gefordert. Präzise, mit sparsamer Gebärde hielt er seine Truppe zusammen und umschiffte jede heikle Klippe schnörkellos gut. Im Rondo Allegro bewies die junge Meisterin, dass sie keine Angst hat vor virtuosen Achterbahnfahrten. Er erklang aus einem Guss. Grosses Bravo! Schade eigentlich, dass sich Barbara Enz entschieden hat, nicht Profimusikerin zu werden. Doch wer je einen Fuss in dieses Metier gesetzt hat weiss, wie hart es in der Branche zu und her geht. Auf jeden Fall können sich die Thurgauer Schulkinder freuen, eine hochmusikalische Primarlehrerin zu bekommen.

Lob nach gelungener Zusammenarbeit: Dirigent Gabriel Estarellas Pascual und seine Musiker. Bild: Barbara Camenzind

Die Knacknuss des Abends hiess Felix. Nicht viel älter (21) als seine Thurgauer Interpreten komponierte Mendelssohn Bartholdy seine „italienische" Sinfonie in A-Dur (reinhören kann man hier). Den ersten Satz mit dem weitgreifenden Melodiebogen kennen auch weniger musikaffine Menschen. Das Thurgauer Jugendorchester spielte sich dann auch beherzt und mit viel Sinn für Italianità durch die ersten beiden Sätze und erwischten im dritten Satz „con moto moderato" die Kurve leider nicht ganz. Das Tongeflecht fiel auseinander, wohl durch unterschiedliche Tempovorstellungen in den Registern. Doch zur feurigen Tarantella zum Schluss hatten sich alle wieder gefunden. Es gab grossen und verdienten Applaus.

So wie auch andere Klangkörper im Kanton kümmert sich das Thurgauer Jugendorchester um die so dringend benötigte Nachwuchsförderung im Bereich der so genannt klassischen Musik. Die 10- bis 20-jährigen Musiker haben mit diesem Abend bewiesen, dass sorgfältige Arbeit, Motivation und ein schönes Programm ein Publikum bestens unterhalten kann. Und was an diesem Abend noch nicht ganz gelang, das kann unter dieser Leitung wachsen. Zudem: Nichts passt besser zu einem Jugendorchester, als die Musik des frühen 19. Jahrhunderts. Da steckte Europa auch in einer Art Pubertät.

Termine: Nächste Konzerte des Thurgauer Jugendorchester sind im September 2017

www.jotg.ch

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