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von Tobias Rüetschi, 23.03.2017

Kleiner Bub, grosses Theater

Kleiner Bub, grosses Theater
Die beiden Schauspieler Esther Leiggener und Oliver Baume bringen "Das Menschlein Matthias" auf die kleine Bühne der Kantonsbibliothek in Frauenfeld. | © Tobias Rüetschi

Aufgrund von Charles Linsmayers Neuauflage der autobiographischen Tetralogie des Thurgauer Autors Paul Ilg gastierten am Mittwoch Abend zwei junge Schauspieler in der Kantonsbibliothek Frauenfeld und erweckten das Werk „Das Menschlein Matthias" in der Bühnenfassung von Markus Keller zum Leben.

Von Tobias Rüetschi

Es ist eine tragische Geschichte: Der kleine Bub Matthias muss als ungeliebtes Verdingkind bei seiner Tante in einem Hof auf dem Gupf leben. Er weiss nicht, wer sein Vater ist, doch im nahen Treustadt gehen Gerüchte um, der reiche Dessinateur Oberholzer könnte es sein, arbeitet er doch in der gleichen Fabrik wie Matthias' Mutter und ist in der Stadt als Verführer bekannt. Als der kleine Matthias das Leben auf dem Gupf satt hat, flüchtet er zur Mutter, welche ihn den Tag durch mit in die Fabrik nimmt. Als Oberholzer dort herausfindet, dass der kleine Bub sein Sohn ist, probiert er, sich mit Mutter Brigitte zu versöhnen und bietet ihr an, sie zu heiraten, damit der Kleine später auch eine gute Ausbildung geniessen kann. Brigitte will davon nichts wissen, und der kleine Matthias ist untröstlich, haben er und sein Vater doch nun auch eine Beziehung aufgebaut. Die Ereignisse überschlagen sich und Matthias landet wieder auf dem Hof. Er flüchtet ein zweites Mal, sucht seinen Vater und als er diesen findet, stürzt er in den Bodensee. Sein Vater eilt ihm zur Rettung und ertrinkt bei diesem selbstlosen Versuch.

Das ist die Handlung, die im Roman „Das Menschlein Matthias" erzählt wird. Die Erzählung gehört zur autobiografischen Tetralogie des Thurgauer Autors Paul Ilg, erstmals veröffentlicht 1913. Die Tetralogie enthält neben dem „Menschlein Matthias" noch die Romane „Die Brüder Moor" „Lebensdrang" und „Der Landstörtzer". Die Charaktere sind jeweils andere, doch wer sich über das ereignisreiche Leben von Paul Ilg informiert, merkt schnell, dass der Hauptcharakter jeweils Ilg selber in verschiedenen Lebensabschnitten ist. Darum hat Paul Ilg auch 1940 selber eine Neufassung des Gesamtwerkes geschaffen, bei der alle in den verschiedenen Geschichten wiederkehrenden Charaktere ihre Namen behalten. Eine Entscheidung, die der Literaturkritiker und Schweizer Literaturpreisträger Charles Linsmayer nicht nachvollziehen kann: „Es nimmt den Romanen ihre Wucht. Sie überzeugen so nicht". Linsmayer bezieht sich darum bei seiner mit einem ausführlichen biographischen Nachwort versehenen 2017-Neuausgabe der Tetralogie auf die Originalwerke, welche er am Mittwochabend im Saal der Kantonsbibliothek Frauenfeld auch alle kurz vorstellte.

Überzeugender Auftritt: Esther Leiggener in "Das Menschlein Matthias". Bild: Tobias Rüetschi

Die Neuauflage ist auch der Grund, weshalb er momentan mit einem minimalistischen Theater durch die Schweiz tourt. Die jungen Schauspieler Esther Leiggener und Oliver Daume bringen nur zu zweit und mit wenigen Requisiten die Geschichte des „Menschlein Matthias" in der Bühnenfassung von Markus Keller zum Leben. Als Bühnenbild dient einzig eine Wand mit Fenster, hinter welcher die zwei Akteure sich zwischen den Szenen schnell umziehen können, um in die verschiedenen Rollen der Geschichte schlüpfen zu können. Und das funktioniert erstaunlich gut: Während eine der zwei jungen Schauspieler sich gerade bereit macht, übernimmt die andere meist die Rolle des Erzählers. Sind mal drei statt zwei Personen in der Szene involviert, so wird zum Beispiel der kleine Matthias einfach zum imaginären Kind, zu dem die Erwachsenen mit gebückter Haltung sprechen müssen. Die Figuren sind überzeugend, die Dialoge packend, authentisch und unterhaltsam. Ein sehr dynamisches, kurzweiliges Spiel, welches nach Linsmayer auch beim achten Mal zuschauen noch Spass macht. Frauenfeld ist nämlich der zweitletzte Stopp der zweimonatigen Tour, am 27. Mai ist das Stück noch an den Literaturtagen in Solothurn zu sehen.

Weiterlesen: Wie die Neuausgabe von "Das Menschlein Matthias" vom Kanton unterstützt wurde http://www.thurgaukultur.ch/magazin/2300/ 

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